Heinar Kipphardt - In der Sache J. Robert Oppenheimer
Heinar Kipphardts Blick auf den Vater der Atombombe.
Heinar Kipphardts (1922-1982) Schauspiel „In der Sache J.Robert Oppenheimer“, uraufgeführt im Januar 1964 als Fernseh-Dokumentarspiel vom Hessischen Rundfunk im Abendprogramm der ARD, widmet sich der dramatischen Aufarbeitung des Falles Oppenheimer. Das Werk, eingebettet im Kontext des Kalten Krieges und der atomaren Bedrohung beleuchtet das Untersuchungsverfahren der US-Atomenergiekommission, die die Loyalität Oppenheimers gegenüber dem Staat überprüft. Als prägnantes Beispiel des dokumentarischen Theaters werden historische Fakten genutzt, um die verzwickte Beziehung zwischen wissenschaftlichem Fortschritt, ethischer Verantwortung und nationaler Sicherheit zu beleuchten.
Die Entwicklung der Atombombe in den USA begann bereits im August 1939, nachdem Albert Einstein Präsident Roosevelt postalisch davor gewarnt hatte, dass die Nazis eigene Atomwaffen entwickeln könnten. Dieser Brief führte zur Bildung des Beratenden Uran-Komitees, welches die Grundlage für das spätere Manhattan-Projekt bildete, in dem die erste Atombombe entwickelt wurde (pm-wissen.com).
Trotz des Kriegsendes und der Erkenntnis, dass die deutsche Atomwaffenentwicklung weit hinter den Befürchtungen zurückgeblieben war, setzten die Vereinigten Staaten ihre Arbeit voran, mit Japan als letzten verbleibenden Kriegsgegner. Am 6. August 1945 wurde die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen, gefolgt von einer zweiten auf Nagasaki am 9. August. Die Bomben forderten schätzungsweise zwischen 150.000 und 200.000 Todesopfer (bpb.de).
Die US-Regierung rechtfertigte diesen Einsatz der Atombomben als Mittel zur schnellen Beendigung des Krieges ohne eine Invasion Japans und zur Vermeidung weiterer Opfer. Wieder andere Historiker argumentieren, dass die Vereinigten Staaten gegenüber der Sowjetunion militärische Stärke demonstrieren wollten (history.com).
Nachdem die Sowjetunion 1949 eigene einsetzbare A-Bomben verfügte, nahm ein Wettrüsten seinen Lauf. Im November 1952 zündeten die Vereinigten Staaten ihre erste Wasserstoffbombe, bekannt als „Ivy Mike“ auf dem Eniwetok-Atoll auf den Marshall-Inseln. Die Sowjetunion zog nach und detonierte ihre erste Wasserstoffbombe, die RDS-6s am 12. August 1953 in Semipalatinsk, Kasachstan.
Die Zeit des Oppenheimer-Prozesses fällt mit einem kritischen Moment des nationalen Selbstbewusstseins in den USA zusammen. Hatte man bisher im Kalten Krieg der Weltmächte dominiert, so war spätestens mit der Entwicklung der sowjetischen Wasserstoffbombe 1953 der militärische und technologische Vorsprung dahingeschmolzen. In einer Zeit der Unsicherheit gewannen Kräfte an Einfluss, die behaupteten, zeigen zu können, wer für den Verlust der Vorherrschaftsposition verantwortlich war. Senator McCarthy und seine Anhänger verbreiteten das Schreckgespenst einer kommunistischen Unterwanderung Amerikas. Sie beschuldigten Verräter, die Geheimnisse an die Sowjets weitergaben und die Anstrengungen der patriotischen Kräfte untergruben, für das Stocken der Rüstungsmaschinerie verantwortlich zu sein. In den USA herrschte eine kommunistische Hysterie, die zu einer Welle von Denunziationen, Prozessen und “Säuberungen” in allen Bereichen des öffentlichen Lebens führte.
Nach seinem Studium in Deutschland, kehrte Oppenheimer 1929 in die Vereinigten Staaten zurück. Dort glich er weitgehend dem Bild eines in seine Studien vertieften Gelehrten, der dem politischen Zeitgeschehen gleichgültig gegenüberstand. Dies änderte sich jedoch während der 1930er Jahre inmitten der großen Wirtschaftsdepression. Die wachsende Armut unter seinen Studenten, die Verfolgung der Juden in Deutschland und der Bürgerkrieg in Spanien weckten Oppenheimers politisches Bewusstsein. In dieser Zeit fing er an sich für die kommunistische Bewegung zu interessieren und obwohl er aktiv in prokommunistischen wissenschaftlichen Vereinigungen tätig war, gehörte er nie der kommunistischen Partei an. Trotzdem waren seine politischen Ansichten der US-Regierung bekannt, als sie ihn 1942 dazu aufforderte, die Anstrengungen der USA zur Entwicklung der Atomwaffe zu leiten und die dafür errichteten Labore in Los Alamos zu überwachen. Zwischen 1942 und 1945 spielte Oppenheimer eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Atomwaffe in Los Alamos.
Nach dem Krieg wurde Oppenheimer 1946 zum Vorsitzenden des Beratungsausschusses der Atomenergiekommission ernannt und übernahm die Leitung des Institute for Advanced Study in Princeton. Als Mitglied dieses Ausschusses wurde ihm 1949 die Aufgabe zuteil, zusammen mit anderen Wissenschaftlern die Machbarkeit der Wasserstoffbombe zu prüfen. Der verfasse Mehrheitsbericht von Oppenheimer sprach sich zurückhaltend gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe aus, wobei er strategische, technische und moralische Bedenken vorbrachte. Ein von Wissenschaftlern wie Fermi und Rabi unterzeichneter Minderheitsbericht äußerte eine stärkere Ablehnung, die vor allem auf moralischen Bedenken basierte. Trotz des Wettbewerbs mit der Sowjetunion entschied Präsident Truman 1950, die Entwicklung der Wasserstoffbombe voranzutreiben. Oppenheimer beteiligte sich zwar nicht direkt an der Entwicklung in Los Alamos, unterließ es aber, anders als viele seiner Kollegen, die Entscheidung des Präsidenten öffentlich zu kritisieren.
Im Frühjahr 1954 untersuchte ein Ausschuss der US-Atomenergiekommission, ob Oppenheimer weiterhin die für den Regierungsdienst notwendige Sicherheitsfreigabe erhalten sollte. Der Vorwurf der Illoyalität gegen Oppenheimer basierte auf seinen vermeintlichen kommunistischen Sympathien und seiner zurückhaltenden Haltung gegenüber dem amerikanischen Wasserstoffbombenprogramm.
Das Stück ist in zwei Teile und neun Szenen gegliedert, die jeweils unterschiedliche Aspekte der zentralen Figur J. Robert Oppenheimer und des historischen Kontextes beleuchten.
Im ersten Teil liegt der Fokus auf den persönlichen Begebenheiten rund um Oppenheimer. Hier wird seine Verbindung zu linken Kreisen und die damit verbundenen Verdächtigungen sowie seine Beteiligung am Manhattan Projekt zur Entwicklung der Atombombe dargestellt. Dieser Abschnitt des Stücks beleuchtet insbesondere Oppenheimers Charakter, seine zeitweiligen Unentschlossenheiten, Feigheiten und die daraus resultierenden Widersprüche und Unwahrheiten, die seine Persönlichkeit und Entscheidungen prägen.
Der zweite Teil des Stücks konzentriert sich auf die spezifisch wissenschaftlichen Fragestellungen und die Entwicklung der Wasserstoffbombe. In diesem Kontext wird Oppenheimers Engagement und seine Einstellung zu diesem Projekt kritisch hinterfragt. Es wird dargestellt, wie seine Beteiligung und sein Verhalten von einer gewissen Distanziertheit und geringem Engagement geprägt sind.
„In der Sache J. Robert Oppenheimer“ gehört zum dokumentarischen Theater, das in den 1960ern für politisch orientierte Stücke beliebt war. Statt sich auf eine fiktive Erzählung zu stützen, griff man auf historische Dokumente und Fakten zurück, um einen dokumentarischen und realistischen Effekt zu erzielen. Laut Kipphardt basiert das Werk maßgeblich auf den FBI-Protokollen der Vernehmung Oppenheimers, die etwa 3000 Maschinenseiten umfassen. Allerdings erlaubt sich Kipphardt in der künstlerischen Umsetzung des Stückes gewisse Freiheiten. Während in den realen Verhören 40 Zeugen vernommen wurden, beschränkt sich das Stück auf sechs, deren Aussagen jedoch die Wirklichkeit so getreu wie möglich widerspiegeln. Kipphardt fügt dem realen Geschehen Miniszenen und Monologe hinzu, die in den tatsächlichen Verhandlungen nicht stattfanden, um dramatische Tiefe zu schaffen, ohne jedoch die historische Genauigkeit zu vernachlässigen. Er folgt dabei dem Prinzip, „so wenig wie möglich und so viel wie notwendig“ vom Originalmaterial abzuweichen.
Die grobe Struktur des Stücks orientiert sich an der eines Gerichtsverfahrens, beginnend mit den Verhören der Zeugen und des Angeklagten, gefolgt von den Plädoyers und schließlich der Urteilsverkündung sowie dem Schlusswort des Angeklagten. Diese Struktur bildet auch die Grundlage für die Figurenkonstellation.
Der Sicherheitsausschuss, bestehend aus Gordon Gray, Thomas A. Morgan und Ward V. Evans, fungiert als zentrale Entscheidungsinstanz und setzt die Bühne für die dramatische Auseinandersetzung. Sie sind verantwortlich für die kritische Beurteilung der Beweismittel und für die Leitung des Verfahrens gegen J. Robert Oppenheimer. Oppenheimer selbst steht im Mittelpunkt des Stücks, seine Loyalität und seine politischen Überzeugungen werden hinterfragt, wodurch seine komplexe Persönlichkeit und seine inneren Konflikte enthüllt werden. Auf der Seite der Anklage stehen Roger Robb und C.A. Rolander, die den Druck auf Oppenheimer erhöhen und die Vorwürfe gegen ihn vorantreiben. Unterstützt werden sie von Zeugen wie Boris T. Pash, Edward Teller und David Tressel Griggs, deren Aussagen darauf abzielen, Zweifel an Oppenheimers Loyalität zu säen und die Anklage zu untermauern. Auf der Seite der Verteidigung stehen Lloyd K. Garrison und Herbert S. Marks vor der Herausforderung, Oppenheimers Integrität und wissenschaftliche Beiträge zu verteidigen. Sie werden von einer Gruppe Zeugen begleitet, darunter John Lansdale, Hans Bethe und Isadore Rabi, die sich für Oppenheimers wissenschaftliche und moralische Integrität einsetzen und versuchen, das Bild, das die Anklage von Oppenheimer zeichnet, zu entkräften.
Das Werk zeichnet sich durch einen dialogorientierten Stil aus, der den Charakter der Anhörung widerspiegelt. Die Sprache ist klar und direkt, und die Dialoge folgen einem Frage-Antwort-Schema. Oppenheimers Schlussmonolog bildet eine Ausnahme von der dialogisierten Form und bietet einen tiefen Einblick in seine Gedankenwelt.
Thematisch befasst sich Kipphardts Werk mit dem Thema Sicherheit, Loyalität und moralischer Verantwortung. Figuren wie Evans, Pash und Lansdale diskutieren über das Ausmaß an den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen in Kriegsprojekten. Während Pash eine hohe, wenn auch nicht absolute Sicherheit als erreichbar ansieht, vorausgesetzt, dass gewisse Freiheiten eingeschränkt werden, vertritt Lansdale die Meinung, dass absolute Sicherheit die Einschränkung aller Freiheiten erfordern würde, die man zu verteidigen versucht. Hier wird also das Dilemma zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Erhalt der bürgerlichen Freiheiten deutlich.
Der Kläger Robb konfrontiert Oppenheimer mit der Frage, warum seine Loyalität während der Entwicklung der Atombombe unerschütterlich schien, sich aber bei der Wasserstoffbombe anders verhielt. Diese Frage beleuchtet das komplexe Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Verantwortung, persönlicher Moral und nationaler Loyalität.
Die Figuren des Stücks stehen vor der Aufgabe, ihre Treuepflichten zu definieren und abzuwägen, insbesondere wenn diese im Konflikt mit höheren moralischen Werten oder wissenschaftlicher Integrität stehen. Oppenheimer selbst steht als Symbol der “geprüften Loyalität”, indem er die Bedeutung des kritischen Denkens, der Meinungsfreiheit und der gemeinsamen Verantwortung betont, was eine direkte Opposition zum Totalitätsanspruch des Staates darstellt und die Notwendigkeit eines kritischen Bewusstseins und der moralischen Reflexion in Zeiten der Krise unterstreicht.
Neben diesen Themen wirft das Stück grundlegende existenzielle Fragen auf, die das menschliche Dasein und ethische Grundlagen betreffen. Es wirft die Frage auf, ob man „schuldlos schuldig“ werden kann, besonders im Kontext von Oppenheimers Rolle im Manhattan-Projekt und den nachfolgenden politischen und moralischen Auseinandersetzungen.
Schließlich hinterfragt das Stück die Annahme, dass wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt automatisch zu einer Verbesserung der menschlichen Bedingungen führt.
Persönliche Meinung:
Meine Persönliche Wertschätzung für „In der Sache J.Robert Oppenheimer“ ist groß, vor allem weil das Werk untypische Wege im Drama beschreitet. Der bekannte Germanistik-Professor Emil Staiger, definierte in seinem Buch „Grundbegriffe der Poetik“ aus dem Jahr 1946, das Wesen des Dramatischen primär als Spannung. Kipphardts Werk entfaltet jedoch seine Kraft nicht durch traditionelle dramatische Spannung, sondern durch die Intensität einer Verhandlung. Im Zentrum dieser Verhandlung steht J. Robert Oppenheimer, der vor dem Sicherheitsausschuss erscheint, um sich den kritischen Fragen zu stellen und letztendlich einem Urteil entgegenzusehen. Diese Struktur verleiht dem Stück eine besondere Art der Spannung, die aus der moralischen und intellektuellen Auseinandersetzung entsteht. Kipphardts Ansatz, die Gerichtsverhandlung als Rahmen zu nutzen, ermöglicht eine tiefgehende Charakterstudie Oppenheimers und eine scharfe Betrachtung der ethischen und politischen Fragen, die das Zeitalter der Atomwaffen aufwirft. In dieser Hinsicht erweist sich das Stück als innovativ und bleibt dabei seinem dokumentarischen Anspruch treu, indem es die Zuschauer zwingt, sich mit den komplexen Facetten der Realität auseinanderzusetzen. Für jeden, der sich für den Fall Oppenheimer und die damit verbundenen historischen, politischen und ethischen Fragen interessiert, ist dieses Stück ein absolutes Muss. Es bietet nicht nur einen tiefen Einblick in die Ereignisse und die beteiligten Persönlichkeiten, sondern fordert auch dazu auf, die eigenen Vorstellungen von Loyalität, Verantwortung und Wissenschaft kritisch zu hinterfragen.